Bellini und Wagner

Die Verbindung zwischen Vincenzo Bellini und Richard Wagner mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, doch sie zeigt, wie tief der Belcanto-Komponist die musikalische Ästhetik des deutschen Musikdramatikers beeinflusst hat. Diese Beziehung lässt sich nicht nur in Wagners frühen Werken nachvollziehen, sondern auch in seiner lebenslangen Wertschätzung für Bellinis Musik – eine Geschichte, die eng mit Leipzig, Wagners Geburtsstadt, verknüpft ist.

Wagners Lehrjahre als Dirigent fielen in eine Zeit, in der Bellinis Opern große Popularität in ganz Europa genossen. Besonders in Leipzig erreichte das »Bellini-Fieber« 1834 einen Höhepunkt, als Wilhelmine Schröder-Devrient, eine der führenden Sängerinnen ihrer Zeit, die Rolle des Romeo in Bellinis »I Capuleti e i Montecchi« interpretierte. Dieses Ereignis sorgte nicht nur für Bellinis Durchbruch im deutschsprachigen Raum, sondern beeindruckte den jungen Wagner auch zutiefst und markierte den Beginn seiner intensiven Auseinandersetzung mit Bellinis Werk.

Als Operndirigent in Magdeburg (1834–1836) und später in Königsberg und Riga (1837–1839) lernte Wagner Bellinis Werke als Dirigent kennen. Neben »I Capuleti e i Montecchi« dirigierte er auch »La straniera«, »Norma« und »I puritani«. Besonders in Riga war Wagners Beschäftigung mit Bellini intensiv: Seine erste Benefizvorstellung widmete er »Norma«, deren Orchestrierung er eigens überarbeitete. In einem Essay jener Zeit bezeichnete er Bellinis »Norma« als dessen »reichste« Komposition, in der »sich wahrhaftige Melodie mit intimer Leidenschaft vereinigt«. In unserer Produktion von »Norma« fügen wir eine Arie ein, die Richard Wagner in dieser Zeit für die Figur des Oroveso komponierte: »Norma il predisse …« (Norma weissagte es …).

Die melodische Schönheit und emotionale Tiefe von Bellinis Musik beeindruckten Wagner nachhaltig. Besonders Bellinis Fähigkeit, große Gefühle durch weit gespannte, ausdrucksstarke Melodien auszudrücken, prägte Wagners eigenen Stil. Wagner bewunderte auch die Anforderungen, die Bellini an die Interpretationskunst der Sänger stellte – eine Bewunderung, die in seinen Essays und Schriften dieser Zeit deutlich wird.

Selbst in späteren Jahren hielt Wagner an seiner Wertschätzung für Bellini fest. Cosima Wagner notierte 1872 in ihrem Tagebuch,  dass Wagner Bellinis Melodien als »schöner als Träume« beschrieb. Er betrachtete Bellinis Werke als Referenz für Melodieführung und emotionale Intensität, die ihn auch bei der Komposition seines eigenen Opernmeisterwerks »Tristan und Isolde« und seinem Prinzip der »Unendlichen Melodie« inspirierten. Dabei geht es darum, scheinbar nicht enden wollende Melodielinien zu komponieren, die sich einer periodischen Gliederung widersetzen.

Leipzig spielte für Wagners künstlerische Entwicklung eine besondere Rolle, da die Stadt nicht nur seine musikalischen Anfänge prägte, sondern auch Schauplatz für Bellinis aufkeimende Popularität war. Hier begann der junge Wagner, den Kompositionsstil Bellinis zu verinnerlichen und in seinen eigenen Stil zu integrieren – ein Beleg dafür, wie sehr die europäische Musiktradition von gegenseitigen Einflüssen lebt. Leipzig war der Knotenpunkt, an dem diese beiden Welten erstmals aufeinandertrafen und wurde somit zum Ort der künstlerischen Inspiration.