Kannst du dich erinnern, welches Stück von Uwe Scholz du als erstes gesehen hast?
In Vorbereitung für die erste Premiere, an der ich beteiligt war: »Die 1000 Grüße«. Dieser Abend war eine Zusammenstellung von »Jeunehomme«, »Tausend Grüße« von Robert Schumann und »Oktett« von Mendelssohn, das ich sehr gemocht habe und in das ich in späteren Vorstellungen auch eingesprungen bin.
Gab es einen bestimmten Auslöser, dass du nach Leipzig und damit zu Uwe Scholz gegangen bist?
Es war eine Empfehlung, die mir gegeben wurde: Das passt zu dir, geh doch da mal hin. Und dann habe ich Uwe hier kennengelernt und auch seine Arbeiten. Es war der richtige Tipp. Es hat sehr gut gepasst. Auch wenn es erst mal herausfordernd war für mich, in diese fremde Stadt zu kommen. Leipzig war im Jahr 2000 noch nicht die Stadt, die man heute kennt. Ich war mir erst mal nicht sicher, ob ich lange bleiben würde. Aber die Arbeit hat mir so gut gefallen, dass ich mich entschieden habe zu bleiben.
Gab es einen bestimmten Moment, an dem du wusstest: Jetzt bleibe ich?
Ich weiß nicht, ob es den einen Moment gab, aber ich war immer fasziniert. Von Uwe sowieso, immer wenn er im Ballettsaal war. Und in dieser Zeit war er es wirklich viel. Ich war, zusammen mit einigen neu-engagierten Tänzern, besetzt in »Jeunehomme« und aber auch Ersatz in »Oktett«. Gerade in der Arbeit zu »Oktett« hast du gemerkt, dass es diese unglaubliche Synergie gab mit seinen langjährigen Vertrauten. Die Arbeitsatmosphäre war super. »Jeunehomme« waren mehr neue Tänzer, aber auch da war er viel da. Sobald er den Saal betreten hat, war es anders. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung.
Wenn er dich angesehen hat, hat er dich wirklich gesehen.
Rémy Fichet
Kannst du diese Ausstrahlung irgendwie in Worte fassen?
Uwe war eine sehr zierliche Person, und ich glaube, es hatte etwas mit seinen Augen zu tun. Er hat alles gesehen, und du wusstest, hinter diesen Augen passiert so viel. Wenn er dich angesehen hat, hat er dich wirklich gesehen. Und sobald er dann aufgestanden ist und etwas gezeigt hat, war das überwältigend. Er hat das mit einigen Tänzern gemacht, mit mir auch später, dass er, wenn er etwas gezeigt hat, selbst die Frau getanzt hat. Er hat losgelegt, und du musstest reagieren, um ihn zu halten. Er hat getanzt und ausprobiert, und einmal standen wir zu viert unter ihm, und einen Moment lang ist er beinahe gestürzt. Wir haben ihn zehn Zentimeter über dem Boden gefangen, und er hat gelacht. Er hat diese Arbeit geliebt. Wann immer er den Saal betreten hat, war die Konzentration zu hundert Prozent bei ihm, selbst wenn wir lange auf ihn gewartet hatten.
Roser Munoz, die mit dir die Einstudierung der »Scholz-Symphonien« übernommen hat, hat mir erzählt, dass es für sie wichtig war, ihm zu gefallen. Kannst du das nachempfinden?
Absolut. Alles für ihn. Für mich ist Uwe als Künstler und als Mensch extrem in allen Facetten gewesen. Vom Schönsten bis zum Schwierigsten. In ihm waren diese riesigen Welten, die ihn als Mensch ausgemacht haben, als Künstler sowieso. Für mich war es von Anfang an so: Du bist hier wegen ihm und für ihn, und das alles machst du für ihn.
Was glaubst du, macht Uwe-Scholz-Tänzerinnen und -Tänzer aus?
Die Unterschiedlichkeiten. Es ist wirklich so. Man merkt in seinen Arbeiten, welche Art von Tänzerinnen er wann zur Verfügung hatte. Er hat immer mit den Qualitäten gearbeitet, die er vor sich gesehen hat. Nicht alle Company-Mitglieder der 90er- und 2000er-Jahre waren gleich gute Technikerinnen und Techniker. Aber es gab die individuellen Stärken der Einzelnen. Und diese Stärken wurden bedient. Das ist ein Grund, weswegen Uwes Arbeiten so facettenreich sind. Ich fände es falsch, die eine Wahrheit über Uwes Arbeit finden zu wollen. Sie ist geprägt von all diesen Menschen, und es ist wie ein Puzzle. Erst wenn du alle Teile gesehen hast, hast du vielleicht die Essenz von Scholz – wenn das überhaupt der Anspruch sein kann. Aber das macht es auch komplex in der Weitergabe und ist der Grund, weswegen es so wichtig ist, wer welche Stücke einstudiert und weitergibt. Es gibt Spezialisten für dieses oder jenes Stück.
Du bist hier wegen ihm und für ihn, und das alles machst du für ihn.
Rémy Fichet
Als Ballettdirektor ist es dir ein Anliegen, Uwes Arbeiten im Repertoire zu halten. Mit dieser Vielfalt im Hintergrund – wie wählst du aus, welches Stück du zeigen möchtest?
Ich versuche, so viele Stücke wie möglich im Blick zu haben, die ich mir vorstellen kann. Es gibt einige Stücke, die ich unbedingt planen möchte, die ich als absolute Meisterwerke sehe. Ganz pragmatisch habe ich aber auch Parameter wie die Orchesterverfügbarkeiten als Rahmen. Vieles ist groß besetzt im Orchester, und das ist nicht einfach zu disponieren. Außerdem möchte ich auf einen richtigen Aufbau für die Company Wert legen. Manche Stücke wären jetzt vielleicht auch schon machbar, aber noch nicht auf dem Niveau, das ich erreichen möchte. Uwes Werk ist fast wie eine Technik, die man regelmäßig arbeiten muss. Das braucht Zeit.
Spielt diese Vielfalt, von der wir jetzt schon länger gesprochen haben, nicht auch eine Rolle? Hast du manchmal Momente, in denen sich diese Qualitäten mit den Stärken der Company, die du leitest, verweben?
Absolut. Es gibt tatsächlich Stücke, die ich nur einsetzen kann, wenn ich weiß, dass ich diese Tänzerinnen und Tänzer habe, die das machen können.
Glaubst du, dass der Mythos, das Erbe von Uwe Scholz ein Grund ist, wieso junge Tänzerinnen und Tänzer nach Leipzig kommen möchten?
Ich glaube, dass das keine große Mehrheit ist, die so tickt. Uwe Scholz ist außerhalb von einigen wenigen Städten leider eher in Vergessenheit geraten. Ich denke aber, dass sich – spätestens, wenn man hier ist und sich damit auseinandersetzt – ein großer Respekt für diese Arbeit einstellt. Und dann ist das erst mal Ehrfurcht, aber auch Stolz.
Glaubst du, dass Uwe sich vorstellen konnte, dass du einmal in seinem Büro sitzen würdest?
Ich glaube nicht, auch wenn er immer mehr gewusst hat, als alle anderen. Aber nein, ich glaube, er konnte sich niemand anderen vorstellen als sich selbst. Aber ich habe mich immer gefragt, wieso er mich so mochte. Ich fand mich nicht so besonders oder speziell, aber es ist ganz schnell ein Funke übergesprungen.
Es ist eine unglaubliche Ehre, und ich hätte nicht geglaubt, jemals vorne zu stehen und eine Arbeit von Uwe einzustudieren.
Rémy Fichet
Du hast auch im Ballettsaal die Perspektive gewechselt und studierst nun Uwes Arbeit ein. Wie nimmst du diese Arbeit wahr?
Es ist wahnsinnig spannend für mich. Natürlich ist es ein bisschen leichter mit Rollen, die ich selbst getanzt habe. Das kann ich einfacher übertragen als Passagen, die ich selbst nicht getanzt habe – das ist eine große Herausforderung. Aber es ist ein unglaublicher Lernprozess. Ich lerne so viel über Uwes Arbeit, ich glaube, die Company selbst merkt das gar nicht. Es ist wichtig, zu versuchen, durch das gesamte Stück eine Kohärenz zu behalten, denn sicherlich machen wir manche Sachen heute anders, sie im Jahr 2000 waren – es sind andere Menschen, es muss für sie passen. Gleichzeitig soll kein komplett anderes Bild entstehen. Es ist eine unglaubliche Ehre, und ich hätte nicht geglaubt, jemals vorne zu stehen und eine Arbeit von Uwe einzustudieren.
Was macht für dich die Zusammenstellung der beiden »Scholz-Symphonien« aus?
Ich glaube, die Reihenfolge ist die richtige Zusammenstellung. Zum einen, weil es für die Leipziger Fassungen die chronologische ist. Aber auch weil diese beiden Arbeiten die wunderbare Balanceverschiebung in Uwes Arbeiten zeigt. Das Spiel mit Virtuosität und innerem Erleben. Der Beethoven mit ganz vielen Schritten, Linien, Formationen hin zu Schumann, der mehr auf eine innere Welt zeigt und wo eine viel größere Sensibilität eingewoben ist.
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