»Die Stimme ist etwas sehr Persönliches«

Hanna Hagel über die Kunst der Stimmbildung
Nele Winter | Thursday 27.03.2025
Hanna Hagel
Hanna Hagel | © Robert Strehler

Hanna Hagel ist seit der Spielzeit 2018/ 19 Stimmbildnerin beim Kinderchor der Oper Leipzig. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Arbeit hier und erklärt, worauf es bei der Stimmbildung ankommt.

Wie bist du zum Singen gekommen?

Ich komme eigentlich aus der Blasmusik, habe später im Schulchor gesungen und mit fünfzehn mit dem Gesangsunterricht begonnen. Durch meine Abitur-Musikprüfung hat sich das Interesse am Singen intensiviert und so habe ich Musik auf Lehramt studiert, mit Gesang als Hauptfach. Als mich eine Freundin bat, in ihrem Chor die Stimmbildung zu machen, habe ich gemerkt, wieviel Spaß mir das macht und dass ich dieses Handwerk erlernen möchte, weshalb ich mich auf einen künstlerisch-pädagogischen Master Gesang in Leipzig bewarb und genommen wurde.

Welche Fähigkeiten braucht man, um Gesang zu unterrichten?

Man braucht viel Leidenschaft, Geduld und Lust, auf jedem Niveau mit den Schüler:innen zu arbeiten und auch unkonventionelle Wege zu gehen. Darüber hinaus benötigt man Empathie, da die Stimme etwas sehr Persönliches ist. Wenn man sagt: »Deine Trompete klingt nicht gut«, kann das etwas ganz anderes auslösen als »Deine Stimme klingt nicht gut.« Oft lösen sich beim Singen Emotionen. Das muss man auffangen können. Zudem braucht man viel Wissen über die Physiologie der Stimme. Die eigene Erfahrung ist ebenfalls hilfreich. Mir fiel es zum Beispiel immer schwer, entspannt zu singen, und ich musste mir das antrainieren. Das hilft mir jetzt beim Unterrichten.

Du sprachst gerade von unkonventionellen Wegen. Welche können das denn sein?

Manchmal lässt man die Schüler:innen Treppen laufen, wenn sie unter- oder überspannt sind. Außerdem kommen auch Spielzeuge wie Therabänder, Wackelbretter oder Bälle zum Einsatz. Es sind oft Körperübungen, die beim Singen durchgeführt werden.

Hast du manchmal auch mit psychischen Blockaden zu tun?

Ja, ganz viel. Je älter die Schüler:innen werden, desto häufiger. Kinder gehen meistens unvoreingenommener an die Sache heran und fangen einfach an zu singen. Die Älteren haben oft eine Vorstellung davon, wie es klingen soll und machen sich Druck. Es kann auch frustrieren, wenn man schon verstanden hat, wie etwas funktioniert, es aber körperlich noch nicht umsetzen kann. Auch persönliche Themen oder Herausforderungen können für Blockaden sorgen. In solchen Momenten muss ich ein gutes Gespür dafür haben, was die Person gerade braucht, ob es zum Beispiel hilft, erstmal fünf Minuten zu quatschen.

Wie oft findet die Stimmbildung beim Kinderchor statt und wie läuft sie ab?

Wir sind zwei Stimmbildner:innen und sind dienstags und donnerstags jeweils drei Stunden da. Wenn wir Einzelstimmbildung machen, gibt es pro Person eine halbe Stunde. Da arbeiten wir entweder an der Gesangstechnik, Solo-Nummern oder, falls es Kinder mit Stimmstörungen gibt, helfen wir dabei. Es kann auch sein, dass wir nachstudieren, falls Kinder bei Proben nicht dabei waren oder später eingestiegen sind. Das kann dann bis zu einer Stunde dauern und auch in Gruppen stattfinden.

Die
Kinder
unseres
Chors
sind
tolle
und
besondere
Persönlichkeiten.

Hanna Hagel
Wie oft arbeitet ihr mit denselben Kindern?

Da es sehr viele Kinder sind, können wir leider nicht engmaschig mit allen arbeiten. Wir versuchen aber jedes Kind mehrmals im Jahr zu sehen. Die Einheiten sind also eher kleine Blitzlichter, wo wir jedoch auch versuchen, dem Kind etwas in den Werkzeugkoffer zu legen, was es langfristig benutzen kann. Kinder mit größeren stimmlichen Herausforderungen oder die Soli singen, sehen wir aber regelmäßig.

Gibt es große Unterschiede in der Arbeit mit Erwachsenen oder mit Kindern?

Bei Kindern gehe ich weniger technisch ran, sondern arbeite zum Beispiel mit Bildern, Spielen oder Vorstellungskraft. Es gibt aber auch kleine Nerds oder Neugierige, die schon alles wissen wollen. Da erkläre ich dann auch anatomische Zusammenhänge. Da Kinder oft eine kleinere Aufmerksamkeitsspanne haben, muss ich mich kürzer fassen. Außerdem liegen Kinderstimmen höher als die von Erwachsenen. Sie hatten noch keinen Stimmwechsel – sowohl Mädchen als auch Jungen. Deshalb muss ich darauf achten, noch nicht zu sehr in die Bruststimme zu gehen.

Dass Mädchen auch einen Stimmbruch haben, ist vielen wahrscheinlich neu.

Das Wort Stimmbruch ist irreführend. Es bricht ja nichts und es muss nichts eingegipst werden. Bei Jungs ist die Veränderung stärker hörbar und dadurch auch oft belastender. Wir achten darauf, dass wir sie auffangen, damit sie dennoch Spaß am Singen behalten. Wenn sie an den Proben nicht mehr teilnehmen können, fallen sie aus ihrer Peer Group heraus. Über die Stimmbildung überbrücken wir diese Phase. Bei Mädchen wachsen wie bei den Jungs der Kehlkopf und die Stimmlippen. Der Klang wird runder, die Stimme wird tiefer. Dieser Übergang ist aber viel weniger hörbar. Die meisten kriegen das gar nicht mit.

Wie geht ihr bei Kindern mit Stimmproblemen vor?

Es kann vorkommen, dass wir Kinder zum Phoniater schicken. Denn nur eine gesunde Stimme ist so hochleistungssportfähig, wie es hier im Opernkinderchor gefordert wird. Falls beim Phoniater etwas festgestellt wird, bekommen die Kinder Logopädie und werden von uns engmaschiger betreut. Unsere Aufgabe ist es, eine gesunde Basis herzustellen und Prophylaxe zu leisten, damit die gesunde Wiedereingliederung in den Chor gelingt.

Glaubst du, dass das Singen das Selbstbewusstsein der Kinder stärken kann?

Auf jeden Fall. Zum einen durch die Gruppe. Die Kinder unseres Chors sind tolle und besondere Persönlichkeiten – ganz egal ob extrovertiert oder introvertiert –, die alle etwas zu sagen haben. Zum anderen macht es selbstbewusst, wenn man weiß, wie man seinen Körper und seine Stimme einsetzen kann. Dann traue ich mich vielleicht auch einen Vortrag in der Schule zu halten, ein Solo zu singen oder mich im privaten Kontext zu behaupten. Es kann auch stärken, Komplimente zu erhalten oder einfach nur den Spaß am Singen zu genießen.