MEHR KULTUR FÜR DIE ZUKUNFT!

Rückblick auf die 3. Green Culture Konferenz der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien an der Oper Leipzig
Friederike Pank | Donnerstag 18.04.2024
Gastgeber Oper Leipzig
Gastgeber Oper Leipzig | © Tom Schulze

Was passiert, wenn über 200 Vertreterinnen und Vertreter aller deutschen Theater, Orchester, Kulturverbände und -gewerkschaften für zwei Tage das Leipziger Opernhaus einnehmen, um die großen Fragen zur ökologischen Zukunft der Kulturbranche zu diskutieren?

Sie dürfen überrascht sein, aber die Antwort ist: Der Theateralltag geht seinen gewohnten Gang! Am 30. November und 1. Dezember 2023 wurde an der Oper Leipzig gleichzeitig das Jugendstück GOLD aufgeführt und das (vegane, saisonale und regionale) Catering für die Konferenz aufgebaut; mit Licht, Kostümen und voller Besetzung Puccinis BOHEME geprobt und in akribisch an Visionen für Kreislaufwirtschaft und CO2-Kompensation gefeilt; die Ballettvorstellung PARADISE LOST vorbereitet und neue Grundsätze für die Kulturarbeit der Zukunft formuliert. 

Während im Vorderhaus die Konferenzgäste hin und her wuselten, um rechtzeitig zu Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden in den richtigen Räumen zu sein, herrschte in den Büros und auf den Probebühnen emsiges business as usual

Denn die Oper Leipzig bietet für beides Platz: Arbeit an der Kunst im Hier und Jetzt und visionäres Nachdenken über die Zukunft.

Die 3. Green Culture Konferenz bildete den krönenden Abschluss einer Konferenzserie, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Jahr 2023 in Auftrag gab, um Kulturschaffende aus Film und Fernsehen, der Kreativwirtschaft und allen deutschen Theatern und Orchestern zum Brainstorming für eine nachhaltigere Kulturpraxis zusammenzubringen. 

Mit viel Elan haben Dramaturginnen und Produktionsleiter, Gewandmeisterinnen und Technische Direktoren, Intendantinnen und Wissenschaftler, Bühnenbildnerinnen und Verbandsvorsitzende in Leipzig gemeinsam Lösungsansätze für verzwickte Themen entwickelt, die nicht erst seit gestern auf der Agenda der Kulturbranche stehen, zum Beispiel:

  • Wie können Produktionsabläufe nach kreislaufwirtschaftlichen Prinzipien umgebaut werden?
  • Wie sehen moralisch vertretbare Modelle der CO2-Kompensation aus?
  • Wie können sich Theater und Konzerthäuser auf Wetterextreme wie Hitze, Stürme und Starkregen vorbereiten?
  • Wie lassen sich Mobilitäts- und Tourneeplanung umweltverträglich gestalten?

Ideen, Kritikpunkte und Anregungen wurden im Anschluss an die Konferenz der neu eingerichteten Green Culture Anlaufstelle des Bundes übergeben. Diese soll zu einem bundesweiten Kompetenzzentrum für nachhaltige Kultur heranwachsen, den Kulturschaffenden Wissen, Beratung, Ressourcen und Datenbanken zur Verfügung stellen und als branchenübergreifender Motor des ökologischen Wandels fungieren. 

Das Nilpferd im Raum

Der designierte Leiter der Anlaufstelle spricht mit Vorliebe über Nachhaltigkeit als „Nilpferd im Raum“: Alle spüren, wie akut das Thema ist, wissen aber nicht so recht, wie sie sich ihm nähern sollen. Denn wenn in Kunst und Kultur über Nachhaltigkeit gesprochen wird, macht sich schnell die Befürchtung breit, dass dies die Reduktion der künstlerischen Möglichkeiten und eine Einengung des kreativen Spielraums bedeutet. Genau diese Berührungsängste sollten mit den Green Culture Konferenzen abgebaut werden. Vielmehr sollte der offene Austausch zum Thema Nachhaltigkeit dazu einladen, das Nilpferd zu umarmen und ermutigt mit dem neuen Haustier im Schlepptau in den Theateralltag zurückzukehren. 

Wer den Gesprächen auf der Konferenz gelauscht hat, konnte beruhigt feststellen: Hier sind leidenschaftliche Theatermenschen am Werk, deren Kreativität und Erfindungsreichtum dem Thema Nachhaltigkeit regelrecht Flügel verleihen kann. Sie schmiedeten ambitionierte Pläne für eine Online-Datenbank der Theaterfundi, formulierten Ansätze für gemeinsame ökologische Standards in den darstellenden Künsten, diskutierten Mobilitätskonzepte für den ländlichen Raum, tauschten Expertise über energetische Gebäudesanierung aus und entwickelten Konzepte für eine Betriebsführung, die in ihren Arbeitsprozessen und -bedingungen ökologisch und sozial nachhaltig ist.

Kultur auf dem richtigen Weg

Dabei stellten Vortragende wie Gäste immer wieder fest: die Kultur ist auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit schon lange beeindruckend aktiv. Fördermittelstrukturen und Auszeichnungen setzen bereits vermehrt Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit an. Erfolgreiche Praxisbeispiele aus dem Bereich der Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Produktion wurden genauso vorgestellt und wie gelungene Kooperationen zwischen Kultur, Wissenschaft und Verwaltung. Vertreter:innen überregionaler Verbände präsentierten bereits vorliegende Leitfäden für den ökologischen Wandel wie z.B. das Theatre Green Book (Renew Culture), der EcoRider (Bundesverband Freie Darstellende Künste) oder die Grüne Bühne (Szenografiebund). Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit des Bundes warb für die eigens entwickelte Weiterbildung für Kulturschaffende, aus der bereits zahlreiche Absolventinnen und Absolventen als dezidierte Transformationsmanagerinnen und Transformationsmanager in Kulturinstitutionen eingestellt wurden. 

   

Die Musikstadt Leipzig wurde von Kulturstaatsministerin Claudia Roth als Vorreiterin der nachhaltigen Kultur besonders gewürdigt. Im Abendprogramm konnten die Gäste anhand von Kurzpräsentationen aus erster Hand erfahren, wie engagiert sich die lokale Kulturszene dem Thema Nachhaltigkeit widmet:

Die Theater- und Kostümwerkstätten nutzen seit jeher Materialien von vergangenen Produktionen für zukünftige Ausstattungen. Das Bach-Archiv Leipzig pflanzt seit 2013 Bäume zur CO2-Kompensation auf ehemaligen Tagebauflächen. Das Gewandhaus zu Leipzig führt derzeit eine umfassende energetische Gebäudesanierung durch. Die Trash Galore in Plagwitz holt seit 2019 recyclebare Reststoffe von Veranstaltungen ab und vermittelt sie an andere Veranstalter weiter. Das Kulturdezernat der Stadt Leipzig führt seit 2021 den Begleitprozess »Klimaneutralität von Kultureinrichtungen und (Kultur-)Veranstaltungen« durch und entwickelte mit dem Amt für Kultur und Denkmalschutz Dresden einen Emissionsrechner speziell für den Kulturbetrieb. Das Orchester der Musikalischen Komödie engagiert sich als »Orchester des Wandels« für ein Aufforstungsprojekt von im Instrumentenbau benötigten Edelhölzern. Die Oper Leipzig verknüpfte in der Spielzeit 23/24 gleich drei Produktionen mit dem Thema Nachhaltigkeit: »Peter Grimes« (nachhaltiges Kostümbild), »Majesty & Madness« (nachhaltiges Bühnenbild) und »Mary, Queen of Scots« (nachhaltiges Bühnen- und Kostümbild & Klimabilanzierung). Überall wird an den Konturen der »grünen Kultur« getüftelt, gebastelt und geschraubt.

In vielerlei Hinsicht sind Theater und Orchester ein Vorbild an Nachhaltigkeit. Seien wir stolz darauf! 

Tobias Wolff, Intendant der Oper Leipzig

Das große Anliegen der Konferenz war es, dieses Engagement anzuerkennen und Lust auf die Weiterentwicklung nachhaltiger Arbeitsweisen zu wecken. Niemandem ging es darum, künstlerische Freiheiten einzuschränken und nur noch auf leeren Bühnen mit minimalistischen Kostümen zu spielen. Vielmehr waren sie sich die Teilnehmenden darüber einig, dass sie gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen wollen, Produktionsprozesse, Betriebsführung und Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass auch in Zukunft genügend Ressourcen für die Kunst zur Verfügung stehen.

3. Green Culture Konferenz
3. Green Culture Konferenz | © Tom Schulze

Als Kulturstaatsministerin möchte ich […] Rahmenbedingungen dafür schaffen, damit Kunst und Kultur nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft frei sein [und] ihr innovatives und kreatives Potential freisetzen können. Aber dafür müssen wir eben jetzt handeln, müssen Kunst und Kultur nachhaltig und resilient aufstellen. Es gilt, die Produktionsweise, die Betriebsökologie, die Stoffflüsse zukunftsgerecht zu gestalten. 

Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

Der Impuls, der von Leipzig aus in die deutschlandweite Theater- und Orchesterwelt ging, war nicht nur grün, sondern vor allem beherzt. Die Leipziger Green Culture Konferenz hat gezeigt, wie viel Begeisterung das Thema Nachhaltigkeit entfachen kann und wie groß das Potential für die gegenseitige Inspiration und Zusammenarbeit unter den Kulturschaffenden ist. Gleichzeitig ist auch deutlich geworden, dass dies nur mit effektiver politischer Unterstützung Wirklichkeit werden kann. Denn der ökologische Wandel braucht Zeit, Personal, Finanzierung und die richtigen Ressourcen, um erfolgreich vollzogen werden zu können und halten zu können, was das Motto der Konferenz versprach: 

Mehr Kultur für die Zukunft!