Es geht darum sich selbst zu begegnen.

Künstler Harry Yeff – Reeps 100 über Stimmen, Elektronik und die Verbindung von Stimme und Tanz
Anna Elisabeth Diepold | Dienstag 23.05.2023
Harry Yeff, Sprachkünstler und Musiker
Harry Yeff, Sprachkünstler und Musiker | © Reeps100

In Vorbereitung auf die kommende Premiere »FUSION« hat Dramaturgin Anna Elisabeth Diepold mit dem britischen Künstler Harry Yeff – Reeps 100 über Stimmen, Elektronik und die Verbindung von Stimme und Tanz gesprochen.

Du hast eine ganz bestimmte Art und Weise, wie du arbeitest und wie du deine Kunst dem Publikum und der Welt präsentierst. Wie würdest du einem Fünfjährigen oder jemandem, der noch nie mit Kunst in Berührung gekommen ist, deine Arbeitsweise beschreiben?

Mein Lebenswerk dreht sich darum, die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Stimme zu verstehen. Was ich in den letzten Jahren gesehen habe, ist, dass es mit der Stimme immer neue Möglichkeiten gibt, nicht nur in Bezug auf die Technik, sondern auch auf die Dinge, die man mit der Stimme darstellen kann. Also die Technologien um die Stimme, die verschiedenen Erzählungen und Geschichten rund um die Stimme. Meine Karriere begann mit Technik, Experimenten und Komposition, aber jetzt denke ich sehr ganzheitlich über alle Elemente der Stimme nach und darüber, wie diese mit ganz neuen Ideen in traditionelle Räume eingebracht werden können, und ich denke, »FUSION« ist ein wirklich gutes Beispiel dafür.

Worauf möchtest du einen besonderen Fokus legen in der gemeinsamen Arbeit mit Körpern und Tanz? 

Zunächst glaube ich, dass Menschen manchmal vergessen, dass die Stimme der Körper ist. Sie ist eine körperliche Sache, und ich habe mich immer sehr mit Tänzern verbunden gefühlt. Ich habe Stunden um Stunden damit verbracht, meine Stimme zu trainieren und völlig unkonventionelle Techniken zu üben, in einigen Fällen sogar Techniken, die es noch nie zuvor gegeben hat, und andere Menschen zu treffen, die mit ihrer Stimme Dinge tun, die völlig neu und originell sind, was ich sehr spannend finde. Aber wenn ich dann zeitgenössischen Tanz und Ballett sehe, finde ich das Niveau an Disziplin und Konzentration unglaublich. Ich finde, das ist eine wirklich interessante Partnerschaft. Ich glaube, wir können eine neue Bewegung finden und in der Lage sein, eine Emotion auf eine neue Art und Weise – durch die Art, wie sich jemand bewegt – auszudrücken. Das ist es, was ich anstrebe, wenn ich schreibe und komponiere, sowohl mit der Stimme als auch in der Musik im Allgemeinen: die Suche nach neuen Emotionen und neuen Ausdrucksformen. Ich habe das Gefühl, dass meine Bandbreite als Komponist in Verbindung mit der unglaublichen Disziplin des Leipziger Balletts 100 % zu etwas führen kann, das noch nie zuvor geschehen ist. Das sind also die Dinge, die mich begeistern, und ich habe großen Respekt vor klassisch ausgebildeter traditioneller Disziplin, wie sie Tänzerinnen und Tänzer leben.

Kannst du uns einen Einblick geben, wie du deine Stimme trainierst? Wie sieht ein typischer Trainingstag bei dir aus?

Es ist wichtig zu verstehen, dass wir bei dem Wort Stimme nicht nur an eine Sache denken können. Es gibt meine Sprechstimme, aber genauso mein Instrument. Es gibt Hunderte von Klängen, die eine Stimme erzeugen kann, jeder mit seiner eigenen Instrumentierung. Ich sammle kontinuierlich verschiedene Techniken. Die Idee ist also, dass ich eine Route habe, eine Reihe von Räumen, die viele verschiedene Sounds beheimaten. Ich versuche, die Klänge zu definieren, sie zu finden, sie zu formen, fast so, wie ein Musiker komponiert. Ich übe und wiederhole. Aber dann muss ich darüber nachdenken, wie diese Klänge klingen. Nehmen wir an, ich habe 100 verschiedene Instrumente, aus denen ich wählen kann. Wie funktionieren sie zusammen? Denn – und das ist mein Lieblingsthema bei der Stimme – sie ist begrenzt. Wenn man herausfindet, wie man Melodie und Perkussion gleichzeitig steuern kann, dann schafft man diese zyklischen Systeme. Man beginnt, diese Sprache zu entwickeln. Seit fast 20 Jahren trainiere und übe ich, und ich finde immer noch neue Techniken, und ich schaue in die Welt hinaus und sehe, wie neue Dinge entdeckt werden. Ich liebe es, dass etwas so Altes wie die Stimme immer noch so neu sein kann.

VOICE GEMS

In seinem Vortrag »Voice Gems« stellt der Künstler und Technologe Harry Yeff – Reeps100 seine und Trung Baos Arbeit an einem Portfolio an Lichtgeschwindigkeits-Funkübertragungen und synthetischen KI-Stimmen vor und zeigt, wie neue Technologien eine künstlerisch brisante und lebendige Diskussion über neue Methoden der Bewahrung ermöglichen.
Zum ganzen Vortrag

Ich liebe es, dass etwas so Altes wie die Stimme immer noch so neu sein kann.

HARRY YEFF (REEPS100)

Du hast erwähnt, dass du die Disziplin von Tänzerinnen und Tänzern und die Art und Weise, wie ihre Körper funktionieren, immer bewundert hast. Erinnerst du dich an deine erste Begegnung mit Tanz oder Ballett?

Ich glaube, Tanz war schon immer etwas, das für mich interessant war. Ich bin sehr fasziniert von der Idee eines »Flow«, wie bei einem erfahrenen Schachspieler, bei dem man nicht weiß, was er als Nächstes tun wird. Richtig? Er kann mit solcher Schönheit und Spontaneität reagieren, weil er die Sicherheit verspürt, etwas gemeistert zu haben. Ich denke, Ballett ist eine sehr klare Disziplin mit Konnotationen von Meisterschaft oder Perfektion. Im Laufe der Jahre gab es viele kleinere und größere Begegnungen mit Tanz und ich habe immer experimentiert, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Aber »FUSION« ist die erste Produktion dieser Größenordnung. Ich habe das Gefühl, dass alle meine bisherigen Kollaborationen in vielerlei Hinsicht zu diesem Stück geführt haben, und zwar nicht nur in Bezug auf den Tanz und die Company, sondern auch darauf, wie tief ich am Konzept, an Bühnenbild und Kreation beteiligt bin. Wir hatten eine Vision, wie wir Elemente zusammenbringen können, die wirklich etwas Neues schaffen.

Wenn du wüsstest, dass du von allen Menschen auf der Welt gehört werden könntest, was würdest du sagen? Welche Botschaft würdest du einem mehr oder weniger universellen Publikum vermitteln wollen?

Ich glaube das fällt mir leicht, ich würde sagen: »Ungeachtet dessen, was du vielleicht denkst: Jede Stimme auf der Erde ist nicht nur wertvoll, sondern ein Ausdruck von Genialität. Und es wäre eine Schande, wenn du das Ende deines Lebens erreichst, ohne dein Potenzial zu kennen.« Ich glaube, dass in all unseren Stimmen mehr zu finden ist. Und ich denke, darin liegt etwas wunderbar Aufregendes.

Das ist jetzt zwar ein anderer Punkt, aber ich habe eine Reihe von Studien mit dem UCL, also dem University College London, durchgeführt, und zwar mit einer langjährigen Kollaborateurin von mir namens Sophie Scott. Sie ist eine wirklich etablierte Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Stimme. Sie teilt die Idee, dass wir, besonders im Westen, nur etwa 20 % unseres stimmlichen Ausdrucks nutzen. Es wäre für uns unvorstellbar, nur 20 % unserer Bewegungsfähigkeit zu nutzen. Wir sind alle daran gewöhnt, dass wir unsere Körper dehnen und bewegen. Aber wir dehnen selten unsere Stimme, wir fordern sie nicht so heraus. Es gibt also viele Hinweise darauf, dass die Art, wie wir sprechen und wie wir unsere Stimme einsetzen, auch unser Denken beeinflusst. Mein ganzes Lebenswerk besteht also darin, zu versuchen, diese 20 % zu erhöhen und die Menschen zu ermutigen, ihre Stimme zu erheben und ihren Geist zu erweitern. 

Das ganze Interview können Sie in unserer neuen Ausgabe »DREIKLANG« lesen.

    • Premiere

    Fusion

    Leipziger Ballett So. 28.05.2023 | 17:00 | Opernhaus
  • Fusion

    Leipziger Ballett Mo. 29.05.2023 | 17:00 | Opernhaus
  • Fusion

    Leipziger Ballett Fr. 02.06.2023 | 19:30 | Opernhaus
  • Fusion

    Leipziger Ballett Mi. 07.06.2023 | 19:30 | Opernhaus
  • Fusion

    Leipziger Ballett Fr. 30.06.2023 | 19:30 | Opernhaus
  • Fusion

    Leipziger Ballett Sa. 08.07.2023 | 19:00 | Opernhaus