Veilchen oder Vergissmeinnicht?

Über Emmerich Kálmáns Operette, die (zu Unrecht) in Vergessenheit geriet
Nele Winter | Monday 24.04.2023
Mirjam Neururer (Violetta Cavallini), Andreas Rainer (Florimond Hervé), Ballett der Musikalischen Komödie
Mirjam Neururer (Violetta Cavallini), Andreas Rainer (Florimond Hervé), Ballett der Musikalischen Komödie | © Kirsten Nijhof

Kálmán hat in seinem »Veilchen vom Montmartre« wunderbare Schlager geschrieben, die direkt ins Ohr und ins Herz gehen. Darüber hinaus spiegelt die Geschichte um die arme Künstler-WG den Zeitgeist der Entstehungszeit um 1930 wider. Auch die Kritiken der Uraufführung waren durchweg positiv. Woran liegt es also, dass sich das »Veilchen« in den Jahrzehnten nach seiner Uraufführung nicht durchsetzen konnte und bis heute eher unbekannt ist?

Die Zeit um 1930 war von der Wirtschaftskrise und von Armut geprägt. Guter Kitsch, wie ihn Kálmán und seine Librettisten erdachten, war eine wunderbare Möglichkeit, der harten Realität für ein paar Stunden zu entfliehen. Das »Veilchen« hat die besten Anlagen dazu. Außerdem spielt es im Milieu der »einfachen Leute« und thematisiert ihre Geldsorgen, die sich hier natürlich stets in Wohlgefallen auf lösen. Die Operette bietet also nicht nur die Möglichkeit zum Eskapismus, auch die Figuren, die darin auftauchen, sind Sympathieträger und haben Identifikationspotenzial.

Paul Guttmann, der das Stück bei der Uraufführung inszenierte, hat es jedoch nicht als moderne, am zeitgenössischen Kino orientierte Liebesgeschichte wie etwa »Die Drei von der Tankstelle« herausgebracht, sondern als etwas trockenen Historienschinken und beeinflusste auch die kommenden Inszenierungen. Diese Lesart ging gegen Kálmáns ursprünglichen Wunsch, das Stück in der Gegenwart spielen zu lassen. Die Aktualität des Stücks schimmerte somit bei der Uraufführung leider nirgends durch, was sein negatives und etwas verstaubtes Image bis heute beeinflusst. Immer wieder wird es als Pseudo-Bohème beschrieben und nicht als aktuelles Werk von 1930.

Der Geist, aus dem das »Veilchen« entstand, war geprägt von der Weltwirtschaftskrise, von finanzieller Unsicherheit und Zukunftsängsten. Viele dieser Sorgen sind den meisten Menschen heute nicht fremd. Inflation, steigende Lebensmittel- und Mietpreise, Klimawandel, Krieg – all das sind Themen, die viele Menschen verunsichern oder sogar verängstigen.

Deshalb war es unserem Team wichtig, das »Veilchen« in der Gegenwart spielen zu lassen. Der Handlungsort bleibt Montmartre – auch heute noch eine Künstlerhochburg. Das Bühnenbild von Leif-Erik Heine ist eine Hommage an ausgewählte Street-Art-Künstlerinnen und -Künstler. Auch in der Choreographie von Kati Heidebrecht finden
sich zeitgenössische Elemente wie der sogenannte »Triangle Dance«, der durch die Social-Media-Plattform TikTok bekannt wurde.

Doch auch der im Stück angelegte Kitsch – im besten Sinne – wird bedient, wenn auf der Bühne das farbenfrohe Narzissenfest gefeiert wird, wenn der Tenor zartschmelzende Melodien singt, die an Kálmáns Konkurrenten Lehár erinnern oder wenn das Veilchen wie ein Vöglein seine Koloraturen trällert. Schwelgen Sie mit uns in Kálmáns Melodien und genießen Sie diesen Kurztrip nach Paris!