»Eine schlanke Mittelfigur mit dunkellockigem Haare, freundlich schönem Angesichte; seine hübschen dunkeln Augen waren von gutmüthigem schelmischem Ausdruck, heiter lebendig; seine ganze Erscheinung, sein ganzes Wesen voll Frohsinn und Laune, gewandt und gefällig so auf der Bühne wie im Leben, verfehlte da wie dort niemals den angenehmsten Eindruck.» (Philipp Düringer 1851, S. 8)
»Lortzing war eine Eigenthümlichkeit, der man so leicht nichts übelnehmen konnte, seine versöhnende Bonhomie, seine Alles besiegende Liebenswürdigkeit heilte die Wunde seines scharfen Witzes, ehe sie schmerzte. – Lortzing war muthwillig, nicht wild, – lustig, nicht ausgelassen, – fröhlichen Herzens und leichten Sinnes, nie leichtsinnig« (Philipp Düringer 1851, S. 12)
Wenn Sie mitmachten, würde es ein lebhafter, fröhlicher, im besten Sinne geistreicher Abend. Hauptthema wären wahrscheinlich das Theater, das gesellschaftliche Leben der Stadt, gemeinsame Bekannte oder Themen, die Sie noch einbringen, denn Albert Lortzing war ein neugieriger, dem Gegenüber zugewandter Mensch. Politik würde wahrscheinlich nur wenig eine Rolle spielen. Dafür benötigte es den privaten, vertrauten Rahmen.
Er würde Leipzig loben als »Stadt der Wissenschaften namentlich für Musik« (AL, 27. Mai 1833), aber auch als »vergnügungslustige Stadt« anklagen: »gegen die hiesige Sauferei kommt glaube ich keine Stadt auf. Die Soirees ließe ich mir noch gefallen, da kann man sich doch nachher in’s Bette legen, aber die hiesigen Frühstücke, die alle Sonntage namentlich in meiner Bekanntschaft an der Tagesordnung sind, soll der Teufel holen. So ein Frühstück fängt Morgens um 10 Uhr an und dauert bis 3-4 Uhr Nachmittags, da muß man sich zusammen nehmen, wenn man Komödie zu spielen hat.«
Landschaftlich hat es Lortzing allerdings in seinem früheren Engagement und besonders in Detmold besser gefallen: »dessen ohngeachtet taucht aus diesen rauschenden Vergnügungen oft mein liebes Detmold mit manchen theuren Bekannten auf. Meine Sehnsucht dahin, besonders da der Frühling naht und mir die herrliche Gegen vor Augen schwebt ist unbeschreiblich und steigert sich diese Sehnsucht wenn ich die Environs von Leipzig in Augenschein nehme, die (eine angenehme Promenade um die Stadt und das sogenannte Rosenthal abgerechnet) höchst klatrig sind.« (alle Zitate: AL, 5. April 1834)
Das Bild von einem Komponisten nur heiterer, biedermeierlicher Opern, wobei »bieder« abwertend als »verstaubt«, »brav« und heute nicht mehr interessant verstanden wird. Dies verkennt einerseits die Vielfalt der Themen, die Lortzing in seinen 13 abendfüllenden Opern anspricht und von denen man heute leider nur noch drei kennt, und deren stilistische Bandbreite, die auch die »Festoper« »Hans Sachs«, die romantische Zauberoper »Undine«, die von Lortzing nur »Oper« genannte »Regina« und die komisch-romantische Zauberoper »Rolands Knappen« mit einschließt.
Lortzing hatte sich grundsätzlich bewusst für die deutsche Variante der französischen Opéra-comique entschieden, also musikalisch gesehen der Oper mit gesprochenem Dialog, thematisch gesehen der Konversationsoper. Zum Rezitativ sagte Lortzing: »ich halte in der komischen deutschen Oper Prosa für angemessener. Der Deutsche singt Recitative in der komischen Oper immer, als wenn er einen Harnisch oder ein Priesterhemd an hätte.« (AL an Karl Gollmick am 30. November 1843)
Auch die französische Opéra-comique ist im 19. Jahrhundert thematisch breit aufgestellt, es sind Konversationsopern und es werden alle Themen behandelt, über die man sich unterhält, d. h. es werden keine vergangenen Heldengeschichten oder Geschichten aus Mythologie oder Bibel erzählt, sondern – auch wenn die Handlung in vergangenen Jahrhunderten spielt – werden gegenwärtige Themen behandelt und da Albert Lortzing ein politisch sehr wacher Kopf war, spielt in allen seinen Opern immer auch die Tagespolitik eine Rolle. Ganz abgesehen davon, dass er sehr gut mit Sprache umgehen konnte und deshalb gerade die Dialoge oft sehr spitz sind, sind seine Opern vor allem sehr bühnentauglich: Lortzing kannte und berechnete die Wirkung auf der Bühne sehr genau und kreierte manche Rollen seiner Opern wohl auch ziemlich genau für die Fähigkeiten seiner Kollegen in Leipzig.
Rein rechtlich war es so, dass das Stadttheater von einer Theaterdeputation, die im Magistrat angesiedelt war, geleitet wurde. Diese wählte den Direktor und dieser wiederum stellte das Personal ein. Von 1832 bis 1844 war Sebald Ringelhardt Direktor des Stadttheaters und dieser führte das Theater finanziell sehr erfolgreich, auch wenn es inhaltlich Kritik gab.
Es gab am Leipziger Theater sehr viele Vorstellungen, während der Messe wurde sogar täglich gespielt. Da zu dieser Zeit das Personal von Schauspiel und Oper noch nicht eindeutig getrennt war, traten mehrere Ensemblemitglieder wie Albert Lortzing in beiden Sparten auf.
Als Orchester spielte – wie auch heute – das Gewandhausorchester bzw. sein Vorläufer, doch klagt Lortzing zu Beginn seines Engagements: »Das hiesige Orchester ist im Allgemeinen wohl immer wacker zu nennen und würde noch mehr leisten, wenn die edle Kunst bei ihnen nicht, wie leider überall, nach Brod gienge, aber die Verhältniße sind in dieser Beziehung so – wie soll ich sagen dumm – für eine Stadt wie Leipzig; das Orchester ist dem Liebhaber:Conzerte (das allerdings bedeutend ist) unterthänig und das Theater, das ihnen das Mehrste einträgt, ist Nebensache. Wenn heute der Musikverein ein Conzert veranstaltet, und der Schauspieldirektor zu gleicher Zeit eine Oper geben will, so geht das Konzert vor und das Opern:Publikum muß sich mit substituirten Orchester-Mitgliedern begnügen; ich wiederhole nochmals, daß das Theater dem Orchester 4mal so viel einträgt als der Musikverein.« (Lortzing an Anton Schindler, im Februar 1834)
»In Leipzig verlebte Lortzing seine glückliche goldene Zeit. Zufrieden im traulichen Familienkreise an der Seite seiner geliebten Eltern, seines sanften Weibes ... Heiter und vergnügt im Freundeskreise fand er Spielraum für seinen Humor auf und außer der Bühne. Ein Verhältniß unter den Mitgliedern der Bühne, so seltener Art, daß in der Theaterwelt die Leipziger Collegialität unserer Periode so zu sagen berühmt geworden ist.«
(Düringer 1851, S. 10)
Lortzing hatte in Leipzig unter Ringelhardt immer einen Vertrag als Schauspieler und Sänger und auch nach den ersten Erfolgen seiner Opern, änderte Ringelhardt dies nicht. Er sagte: »Ach was, Herr Lortzing ist ein guter Schauspieler. Dabei kann er seine lustigen Opern componiren; wer weiß, ob er ein guter Capellmeister wird.«
(Düringer 1851, S. 25)
Das Theater: Lortzing komponierte fast ausschließlich für das Theater und wählte als Vorlagen seiner Opern überwiegend bereits erprobte Schauspiele. Keine Klassiker und keine aktuellen Erfolgsstücke, sondern, wie immer wieder zitiert wird, »verschollenes Mittelgut«. Lortzing selbst formuliert es so: »Ich meines Theils wenigstens möchte es nicht mehr riskieren, ein sich noch auf dem Repertoire befindendes klassisches Stück als Operntext zu behandeln.«
(Lortzing an Karl Gollmick am 30. November 1843)
Lortzing ist mit seinen Eltern ab 1812 auf Wanderschaft gegangen, denn die Eltern machten auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage ihr Hobby zum Beruf. Das heißt: Albert lebte von 1801 bis 1811 in Berlin und erhielt dort die »normale« Schulausbildung, dazu aber auch Klavierunterricht bei Johann Heinrich Griebel, einem Mitglied des Orchesters des Königlichen Theaters, und theoretischen Unterricht bei Karl Friedrich Rungenhagen, in dessen bedeutender und exklusiver Liedertafel sein Vater Mitglied war. Mehr weiß man über seinen Unterricht nicht, doch betont Lortzing in seiner Autobiographie: »wenn gleich nur bei reisenden Bühnen angestellt, sorgten sie [die Eltern] doch möglichst für meine musikalische Ausbildung«. Doch auch die allgemeine Ausbildung kann nicht schlecht gewesen sein: Lortzing konnte sich auf Französisch unterhalten, kannte etwas Latein und auch Brocken Italienisch. Da er seit seinem 11. Lebensjahr schon selbst auf der Bühne stand, kannte er das gängige Theaterrepertoire in Schauspiel und Oper auswendig.
Lortzing berichtet selbst, dass er schon als Kind komponiert hat (Sonaten, Tänze, Märsche) und sehr bald auch kleine Chöre und Musiken für das Theater schrieb.
Düringer fasst die Ausbildung folgendermaßen zusammen: »Schon in frühester Jugend war unser’s Albert Lieblingsbeschäftigung die Musik; er spielte außer dem Fortepiano mehrere Orchesterinstrumente, u. a. Violine und Violoncelle, studierte aus eigenem Antriebe die Werke Albrechtsberger’s und anderer Theoretiker, unterhielt sich am liebsten mit erfahrenen Musikern, versuchte frühzeitig kleine Compositionen und zeigte von Jugend auf bei aller Lebhaftigkeit seines Temperaments einen seltenen Fleiß, welchen er auch später nach allen Seiten hin bethätigte.« (Dürigner 1851, S: 7). Eine intensive Phase des Theoriestudiums lässt sich vor Lortzings Engagement am Hoftheater Detmold im November 1826 ausmachen: Er schrieb am 24. Februar 1826 eine Einlage zu D. F. E. Aubers Oper »Der Schnee« für die Rolle des Fürsten (= Prinz von Neuberg) vom 24. Februar 1826. Diese Arie zeigt gegenüber den früheren erhaltenen Kompositionen, darunter der Einakter »Ali, Pascha von Janina« aus dem Jahre 1823, eine deutlich verbesserte Kompositionstechnik und differenziertere Instrumentation. Mit seinem Engagement am Hoftheater Detmold war Lortzing endgültig Profi, sowohl als Schauspieler und Sänger – sein erstes Engagement als Erwachsener erhielt er ungefähr 1820 bei Sebald Ringelhardt in Köln – als auch als Komponist.
In den Jahren 1846 bis 1850 war Lortzing drei Mal umgezogen: 1846 nach Wien, dann 1849 zurück nach Leipzig und im April 1850 nach Berlin. Jeder Umzug kostete ungefähr ein Jahresgehalt, man vergleiche dazu die Briefe aus Berlin an seine Frau. Seit 1845 war Albert mehrfach ohne Engagement: 1845/1846 »privatisierte« er in Leipzig, nachdem er von dem neuen Direktor des Stadttheaters nach einem Jahr als Dirigent entlassen worden war. 1848 nach der Revolution in Wien war zwar er nicht sofort ohne Engagement, aber der Theaterdirektor konnte die Gagen nicht zahlen und von September 1848 bis Juli 1849 erhielt er gar keine Gage. Das Engagement in Leipzig, das ihm der Theaterdirektor Wirsing nach der erfolgreichen Uraufführung von »Rolands Knappen« 1849 anbot, trat Lortzing zwar am 1. August 1849 an, doch gab er dieses, weil er sich ungerecht behandelt fühlte, bereits im Oktober 1849 wieder auf. Sein letztes Engagement trat er am 1. Mai 1850 am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin an.
Lortzing musste außerdem in dieser Zeit noch für vier Kinder sorgen, einer Tochter eine Aussteuer bezahlen und einem Sohn ein Studium.
Neben Kleinigkeiten hat Lortzing in dieser Zeit die drei Opern »Zum Großadmiral«, »Regina« und »Rolands Knappen« geschrieben, von denen »Regina« gar nicht zur Aufführung kam, da sie die ‘Zeitumstände‘ behandelte und erst abgeschlossen wurde, als die Revolution niedergeschlagen war. »Zum Großadmiral« und »Rolands Knappen« wurden in Leipzig uraufgeführt, aber von längst nicht so vielen Theatern als Neuheit angefordert wie es z. B. noch »Der Waffenschmied« wurde. Lortzing lebte aber schon lange vor allem von den Honoraren seiner Opern: das Gehalt als Schauspieler und Sänger oder später als Kapellmeister reichte knapp für das Notwendigste, aber durch die Honorare konnte er sich und seiner Familie zumindest in Leipzig ein angenehmes Leben ermöglichen (und sogar noch etwas Geld zurücklegen). Dabei erhielt Lortzing für seine Opern nur ein einmaliges Honorar von den Theatern, mit dem für alle Zeit das Aufführungsrecht abgegolten war. Die Annehmlichkeiten einer Tantieme – also einer Beteiligung des Komponisten an jeder Aufführung – hat Lortzing nur noch ganz am Ende in Berlin kennen gelernt.
Ob es richtig war, dass Lortzing den Wechsel von der Bühne vor die Bühne gewagt hatte, also in den letzten Jahren nur ein Engagement als Kapellmeister suchte, d. h. ob er den Anforderungen an ein Kapellmeister-Amt genügte, lässt sich angesichts zu weniger Quellen kaum beantworten. Rückblickend fällt jedoch auf, dass Lortzings Entschluss in die Zeit fällt, in der sich der Kapellmeister-Beruf wandelte: Die Anforderungen an den Dirigenten stiegen durch die immer komplexer werdenden Partituren (Wagner, Verdi), weshalb von einem Kapellmeister gute dirigentische, aber keine kompositorischen Leistungen erwartet wurden.
Lortzing redete gerne über Leute – seine Briefe sind deshalb für die Theatergeschichte zwischen 1830 und 1850 viel bedeutender als für seine eigene Kompositionstätigkeit – aber redete nie schlecht über sie, sondern betonte selbst gegenüber seinen Eltern: »Ich bitte übrigens, diese Neuigkeit nicht zu verlautbaren, denn ich mag den Leuten nicht mehr Schmach bereiten als sie sich selbst bereitet haben.« (Lortzing an seine Eltern am 4. Januar 1833). Ferner muss man sich bewusst machen, wie Jürgen Lodemann sehr zu Recht bemerkt, dass sich Lortzing weder in seinen Briefen noch in seinen Operntexten antisemitischer Klischees bedient, es fällt an keiner Stelle ein schlechtes Wort über Juden.
Wir wissen über die Regie an den deutschen Theatern bis 1850 sehr wenig. Darüber würde ich gerne mehr erfahren und ihn dann auch fragen, wie er zu einigen jüngeren Inszenierungen seiner Opern steht.
Liebe Frau Capelle vielen Dank für dieses Gespräch.