Es freut uns, wenn wir Verbindungen zwischen unseren Premieren finden! Bei unserer Winterrevue »Mit Verspätung ins Glück«, die auf einem Bahnhof spielt und Verdis »Otello« scheint das auf den ersten Blick unwahrscheinlich, aber es gibt ein verbindendes Element: Die Eisenbahn! Prof. Axel Körner erklärt unten, wie die Entwicklung des italienischen Schienennetzes der Oper »Otello« von 1887 zugutekam:
»Treno Otello«
Leipzig wird in Deutschland und der Welt häufig mit seinem großartigen Kopfbahnhof assoziiert – und über die Goethestraße kommt man von dort schnell zum Opernhaus, und dann über den Augustusplatz zum Gewandhaus. Die Verbindung Oper und Eisenbahn hat tatsächlich auch schon für Verdi eine wichtige Rolle gespielt. Es war das erste Mal nach der italienischen Erstaufführung von »Lohengrin« in Bologna, im Jahr 1871, dass eine komplette Produktion in andere Theater Italiens transportiert wurde. Zu diesem Zweck gab es Sonderzüge, welche die Produktion von einer Stadt in die nächste brachten. Um überhaupt eine Wagneroper in Italien auf die Bühne zu bringen, fuhr der Bürgermeister von Bologna zunächst gemeinsam mit Musikern, Bühnenpersonal und Kulturpolitikern mit dem Zug nach München, um dort zu sehen, wie man Wagner inszenierte. Das Ergebnis dieser Produktion hat Verdi stark beeindruckt, denn – versteckt in einer Loge - wohnte er inkognito einer der Bologneser »Lohengrin«-Aufführungen bei und annotierte dabei seine Partitur des Erzrivalen Wagner. Nach der Uraufführung des »Otello« 1887 in Mailand erfand man dann den sogenannten »Treno Otello«, der immer wieder in der Presse erwähnt wurde, auch in Form von Karikaturen. Um die Nation an dem Verdi-Ereignis teilhaben zu lassen, reiste so das gesamte Personal der Uraufführung, also Sänger, Musiker und Bühnenarbeiter, aber auch 34 Tonnen Material der Inszenierung, über die Schiene durch ganz Italien. Der moderne Mobilitätsfaktor Eisenbahn machte das möglich.
Verdi und sein Verleger Ricordi wussten also genau, wie man Musiktheater ganz modern in Szene setzen konnte; und das hatte einen großen Anteil daran, dass »Otello« ein so wichtiges Ereignis für Italien und Europa wurde. Man lebte nicht nur ein neues Medienzeitalter, die Epoche war auch geprägt vom Verständnis der Möglichkeiten des Kapitalismus, was die italienische Oper geprägt hat. Da ging es nicht mehr nur um den Adel und das wohlhabende Stadtbürgertum, die seit Generationen die gleichen Logen im Theater besetzten, sondern eher darum, Touristen aus anderen Städten Italiens mit der Eisenbahn in die Oper zu bringen. Wir genießen in Leipzig das Angebot, zur Vorstellung in der Oper oder im Gewandhaus mit der Abendkarte auch den öffentlichen Nahverkehr nutzen zu können. Im Italien des späten 19. Jahrhunderts war das ähnlich, wenn der Stadtrat und die Theaterkommissionen Sonderkonditionen mit den Eisenbahngesellschaften verhandelten, so dass Musikliebhaber aus anderen Städten Italiens in Mailand, Florenz oder Bologna vergünstigt in die Oper gehen konnten. Dieses Konzept scheint in vieler Hinsicht moderner, und wirtschaftlich besser durchdacht, als es unserer Idee von Oper im Italien des 19. Jahrhunderts vielleicht entspricht.
Prof. Axel Körner
Professor für Neuere Kultur und Ideengeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig, ERC Forschungsprojekt »Transopera – Oper and the Politics of Empire in Habsburg Europe 1815-1914«