Die Verbindung ist das Licht

Premiere: Paradise Lost
Montag 14.08.2023
Ballettdirektor und Chefchoreograph Mario Schröder und Chordirektor Thomas Eitler-de Lint im Gespräch

Die erste Ballettpremiere der Spielzeit bringt verschiedene Kosmen zusammen.

Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograph
Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograph | © Kirsten Nijhof

Wie entsteht für euch die Verknüpfung zwischen David Langs »the little match girl passion« und Haydns »Messe der Bedrängnis«?
 

Mario Schröder In David Langs Komposition höre ich nicht nur die Geschichte oder das Märchen von Hans Christian Andersen, sondern ich verstehe und höre diese Musik als einen Ruf nach Empathie und Humanismus. Jeder trägt seine eigenen Werte von Empathie, Hoffnung, aber auch Ängsten in und mit sich. Dies sind sehr existenzielle Aspekte und Fragen, die uns Menschen miteinander koexistieren lassen. Ich bin der Ansicht, dass David Lang diesen Aspekt in seiner Komposition berücksichtigt hat.

Der Kosmos, der durch die Musik und die Texte transportiert wird, ermöglicht uns, emotionale und geistige Räume zu bauen, die uns aufnehmen und eintreten lassen. Dies gilt für eine bereits ältere Musik wie die von Joseph Haydn, aber auch für eine zeitlich jüngere Musik wie die von David Lang. Beiden Kompositionen wohnt eine Zeitlosigkeit inne. Es ist mir wichtig, die Kompositionen wirklich miteinander verschmelzen zu lassen und sie nicht in Blöcken zu spielen. So kann eine Fusion des Musikalischen, aber auch des Szenischen entstehen.

Thomas Eitler-de Lint, Chordirektor der Oper Leipzig und Direktor des Bayreuther Festspielchors
Thomas Eitler-de Lint, Chordirektor der Oper Leipzig und Direktor des Bayreuther Festspielchors | © Kirsten Nijhof

Thomas Eitler-de Lint Man darf ja auch nicht vergessen, dass David Lang nicht nur den Märchenstoff bearbeitet, sondern sich auch auf die »Matthäus-Passion« bezieht, sowohl textlich als auch von der Struktur der Komposition her. Es gibt immer wieder Ref lektionen auf den Text, um einen emotionalen Gehalt zu schaffen. Da kommen Sehnsüchte, Ängste zur Sprache. Ein wenig wie die Arien in der »Matthäus-Passion«. Es ist, glaube ich, nicht schwierig, David Lang erfahrbar zu machen. 

Die Messe von Haydn hat natürlich ihren historischen Kontext, sie trägt den Beinamen »in angustiis«, »Messe in Bedrängnis«, und ich denke mir: Wir leben in einer Zeit, in der Krisen auf uns einbrechen. Die Klimakrise, ökonomische Krisen, Krieg. Und diese Messe beschreibt in einer Art genau so eine Zeit. Die Emotionalität der Menschen dieser Zeit Haydns ist sicherlich nicht anders als die unsere. Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit des Übergangs leben. Das schürt nochmal Unsicherheiten und das Gefühl der Bedrängnis. Die Messe ist übrigens die einzige der großen Haydn-Messen, die in einer Moll-Tonart, in d-Moll, geschrieben ist. Durch die Instrumentierung ohne Holzbläser entsteht auch akustisch eine militärische Ebene. Ich verspreche mir für diesen Abend, dass die musikalischen Ebenen unser Publikum emotional betreffen.

 

Mario, ein großes Thema des Abends ist das Licht. Was bedeutet das für dich in der Auseinandersetzung mit David Lang und Joseph Haydn?


Mario Schröder Es gibt diese zwei Klangkosmen, die sich gegenüberstehen, und das Licht als inhaltliche Metapher lässt beide miteinander in Verbindung treten. Ein Streichholz wird zu einem Symbol für eine positive Vision. Das höre ich stark bei David Lang, in der Traurigkeit der Geschichte dieses Mädchens, die anknüpft an das Hier und Jetzt, während in der Messe das Licht und die Hoffnung in Moll klanglich hörbar wird. Thomas hat es gesagt, wir leben in Krisenzeiten. Aber diese Krisen passieren regelmäßig. Viel zu oft wurde und wird Europa von zerstörerischen Kriegen gebeutelt. 

Es ist unsere moralische Pflicht, uns dagegen aufzulehnen. Wenn wir aber nichts dagegen tun, wird sich die Geschichte immer wiederholen. Beide Kompositionen gehen über ein Einzelschicksal hinaus, sie stellen uns vor die Frage, wie wir gemeinsam leben wollen. Wo sind Hoffnung, Licht und Empathie?

Die Bedrängnis ist für mich der Verbindungspunkt zwischen den beiden Stücken. Aber wir wollen natürlich einen Weg aus der Bedrängnis heraus finden. Durch Hoffnung, vielleicht durch Erlösung, so wie auch das Mädchen im Märchen in ihren Visionen Wärme, Halt und Erlösung findet.
 

Thomas Eitler-de Lint

Für diesen Ballettabend kommen nicht nur zwei Kompositionen zueinander, sondern auch große Kollektive: das Leipziger Ballett, der Opernchor der Oper Leipzig und natürlich das Gewandhausorchester. Wie empfindet ihr dieses Zusammenspiel?

Thomas Eitler-de Lint Wie genau das visuelle Zusammenspiel sein wird, können wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sagen, aber natürlich sind in diesem Fall das Ballett und der Chor ganz eng miteinander verwoben.

Mario Schröder Für mich impliziert das fast eine Installation. Wo treffen sich Klangkosmos, Tanz und Gesang? Es verschmelzen klangliche Grenzen. Das verändert die Art und Weise, wie wir den »äußeren« und den »persönlichen« Raum wahrnehmen. Der Mensch ist der Träger von Klang und Raum. Die Chance ist, in einem Raum zu arbeiten, der durch die Stimmen gestaltet wird.

 

Chor der Oper Leipzig
Chor der Oper Leipzig

Thomas, wie verändert sich deine Arbeit mit dem Chor für ein Ballett, im Vergleich mit der Arbeit für eine Oper?

Thomas Eitler-de Lint Die größte Änderung ist eigentlich, dass die Arbeit für ein Ballett immer Konzertmusik bedeutet. Da geht es für mich fast ausschließlich um die klangliche Ausgestaltung und nicht so sehr darum, wie ein Text gestaltet wird. Bei der Oper lege ich mehr Wert auf die textliche Ausgestaltung. Bei David Lang vermischt sich das ein wenig. Sowohl Klang als auch Text werden fokussiert. Aber diese Unterscheidungen sind natürlich nicht ausschließlich zu verstehen.
 

Mario Schröder Thomas hört die Musik ganz anders als ich, und wir treffen uns auf einer anderen Ebene. Wir einigen uns früh auf eine Interpretation, um Hand in Hand gehen zu können. Wir können nicht ohne Kommunikation einfach losstürzen und machen. Es ist sehr wichtig, sich gegenseitig zu vertrauen, gemeinsam zu suchen, zu entdecken und aus verschiedenen Perspektiven sich gegenseitig zu inspirieren.

    • Mario Schröder / Joseph Haydn, David Lang
    • Premiere

    Paradise Lost

    Leipziger Ballett Fr. 17.11.2023 | 19:30 | Opernhaus

    Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

    • Mario Schröder / Joseph Haydn, David Lang

    Paradise Lost

    Leipziger Ballett Mi. 22.11.2023 | 17:00 | Opernhaus

    Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

    • Mario Schröder / Joseph Haydn, David Lang

    Paradise Lost

    Leipziger Ballett Sa. 25.11.2023 | 19:00 | Opernhaus

    Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

    • Mario Schröder / Joseph Haydn, David Lang

    Paradise Lost

    Leipziger Ballett Fr. 01.12.2023 | 19:30 | Opernhaus

    Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

    • Mario Schröder / Joseph Haydn, David Lang

    Paradise Lost

    Leipziger Ballett So. 10.12.2023 | 17:00 | Opernhaus

    Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer